San Keller, Projekt A realisiert Hardau
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Aktion von San Keller: Freinacht in der Hardau
Samstag 5./Sonntag 6. März 2005 18.17 -6.57 Uhr
Der Zürcher Künstler San Keller hat in der Nacht vom fünften auf den
sechsten März die «Freinacht in der Hardau» durchgeführt. In wildem
Schneetreiben stand eine Portierloge zwischen den vier Türmen der
Siedlung Hardau II. Die Bewohnerinnen und Bewohner des Hardaugebiets
waren herzlich eingeladen, dort, nach gegenseitiger Unterzeichnung
eines Spielreglements, ihren Wohnungsschlüssel abzugeben. Ausgezeichnet
mit einem Schild mit der Aufschrift «Gast» würden sie auf eine gute
Seele hoffen, die ihnen für die Nacht Unterschlupf bei sich zu Hause
gewährt. Was bezweckte San Keller als Pförtner ohne Pforte, als
Hotelier ohne Hotel?
Am Samstag, um 17.30 Uhr, war die provisorische Portierloge aufgebaut.
Ein sogenannter Skybeam zerschnitt das Schneetreiben mit einem hellen
Lichtstrahl, der auf die Aktion aufmerksam machte. San – bürgerlich:
Stefan – Keller hatte sich auf die kalte Nacht vorbereitet. In dem
Hüttchen auf der Grundfläche einer Europalette verbreitete ein
Elektroofen Wärme, Tee und Rum standen bereit. An den Wänden hingen
Ordner, deren papierener Inhalt die rechtlichen Schritte regelte.
Immerhin ging es darum, dass eine fremde Person dem Künstler im
Einverständnis ihren Wohnungsschlüssel abgeben sollte, um dann die
Nacht vor der Hütte auf mögliche Gastgeber zu warten. Da könnte einiges
schief gehen: Raubt der Künstler etwa die Wohnung der gutgläubigen
Teilnehmer aus, während sie sich mit den neuen Bekannten über ihre
Lebenswelten unterhalten? Umgekehrt hätte auch San Keller zu
befürchten, dass ein Gast am nächsten Tag einen Diebstahl aus seiner
Wohnung vermelden könnte, der nicht nachzuweisen wäre. Der Umgang mit
solchen Eventualitäten und Unsicherheiten war von Beginn weg Teil der
Aktion (vgl. Bild 1: Vertragsabschluss, Schlüsselübergabe).
Produktive Nebengeräusche
Die «Freinacht» fand einerseits unter dem Vorzeichen statt, der
Quartiersbevölkerung eine einmalige Begegnungsform anzubieten.
Flugblätter in alle Haushaltungen luden zehn Tage vor der Aktion
ausschliesslich die Bevölkerung des Hardaugebiets ein. Zum
Sonnenuntergang um 18.17 Uhr stünde Portier Keller bereit. Für Kinder
und Jugendliche wurde der Teeausschank im Schnee schnell zum Ort
drängender Fragen. Von den regulären Teilnehmerinnen und Teilnehmern
der Aktion wich die erste nach zwei Stunden notgedrungen zu Freunden
aus. Am späteren Abend händigten zwei weitere Parteien ihre Schlüssel
aus: ein Paar, das erstaunlich bald in den Flachbauten der Siedlung
Unterschlupf fand, und ein alter Seebär, der von einem
Feierbegeisterten beherbergt wurde. Daneben war Kellers Loge Treffpunkt
für Nachtschwärmer, die auch mal gerne ihre Wohnung herzeigten.
Die Aufforderung der Aktion wurde also oft diskutiert, aber selten
befolgt. Gerade aus diesen Nebengeräuschen kann Kritik am mangelnden
«Funktionieren» der Aktion herausgehört werden. Gleichzeitig liegt
darin der andere Teil ihrer Qualität: Keller infiltrierte das
Hardaugebiet mit dem Gedanken einer unüblichen, weil zufälligen und
egalitären Gastfreundschaft. Der Mythos einer aussergewöhnliche
Umgangsform breitete sich aus, setzte den Künstler als Botschafter
eines Goldenen Zeitalters aber auch harscher Kritik aus.
Denkpause in der Aufwertung
Wie im Jahr 2001 die Riedtli-Sanierung unter Beschuss geriet, so sorgt
auch die Sanierung der Hardau-Siedlung auf das Jahr 2007 hin für
Unruhe. Die Aufwertung von Wohnraum geht hier, wie überall, einher mit
erhöhten Mietpreisen und zudem mit der Umquartierung von Mieterinnen
und Mietern wegen Wohnungszusammenlegungen. Unbestritten, dass in einer
Stadt, die städtebaulich so stark umgeprägt wird wie Zürich, die
Strukturen der Bewohnerschaft in Bewegung geraten, und dass eine
Stadtverwaltung Interesse daran hat, die soziale Mischung in einzelnen
Quartieren zu steuern. Stefan Keller gesellt den mächtigen planerischen
Massnahmen eine Denkpause zur Seite, die wissen will, wo schmerzhafte
Änderungen und wo wünschenswerte Neuerung zu diagnostizieren sind. Im
Modell zeigt seine Aktion, was Öffentlichkeit utopischerweise ausmacht
– Solidarität gegründet auf Interesse am Anderen. Wer nur aus Sorge um
sich zu denken beginnt, wird die Fragen nach urbanem Zusammenleben gar
nicht erst stellen können.
Tim Zulauf
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