Christoph Schenker zu drei aktuellen Beispielen von Kunst im öffentlichen Raum in Zürich. zurück→
Aus einem Gespräch mit Sabine Rotach, Tages Anzeiger. Zürich, Dez. 2002 / Jan. 2003.
Oerliker Park
Zulauf, Seippel, Schweingruber Landschaftsarchitekten und Haerle und
Hubacher Architekten: Oerliker Park, Zürich Nord. Eröffnet 2001.

Der
Oerliker Park in Zürich-Nord ist in städtebaulicher, ästhetischer wie
funktionaler Hinsicht ein gelungenes Beispiel für einen Erfahrungsraum,
der keine Trennung macht zwischen Landschaftsarchitektur und Kunst. Die
Anlage – künftig eine riesige Baumhalle – wird u.a. durch verschiedene
Bodenbeläge in Handlungszonen gegliedert, und ein langer Wasserbalken,
ein Turm, eine Lichtebene und ein roter Pavillon prägen sie. Sie ist
Durchgangsraum für Passanten und wird von den Arbeitenden und Bewohnern
der umliegenden Häuser unterschiedlich als Aufenthaltsraum genutzt. Der
Park ist grossstädtisch gehalten nach dem Vorbild etwa von klassischen
Anlagen in Paris. Eine sentimentale Dorfstimmung kommt nicht auf. Umso
mehr ist der Ort identitätsstiftend, weniger als Symbol denn vielmehr
als Handlungsfeld. Es sind die vielfältigen Aktivitäten der Benutzer,
die ihm Bedeutung verleihen.
Kunst im öffentlichen Raum ist dann sinnvoll, wenn sie motiviert und
eine Veränderung herbeiführt. Denkmale gehören zum "geistiges Design"
einer Stadt. Wenn auch Kunst derart zum Schmuck des Öffentlichen gerät,
ist sie in jeder Hinsicht wirkungslos. Ein Werk jedoch, das
unterschiedliche Öffentlichkeiten zusammenführt, kann neue Einsichten
provozieren. Was ich damit meine, konnte man in der letzte Saison im
Bereich des Theaters erleben: Christoph Schlingensief hat mit seinen
Aktionen die ästhetische Öffentlichkeit mit der politischen
Öffentlichkeit verbunden und damit offenbar auf Konfliktfelder
aufmerksam gemacht. Im Idealfall gelingt dies ebenso der Kunst im
öffentlichen Raum, wenn auch weniger polemisch, dafür umso geistreicher.
Roy Lichtenstein: Brushstroke, 1996.
Bemaltes Aluminium, 983 x 655 cm. 2002 temporär installiert auf der
Blatterwiese, Zürich Riesbach. Courtesy Caratsch de Pury &
Luxembourg, Zürich.

Die
Grünanlagen dem Seeufer entlang von der Landiwiese bis zum Zürichhorn
bilden einen traditionellen Ort für Skulpturen, gleichsam ein
Freilichtmuseum. In diesem Naherholungsgebiet hat sich über die Zeit
relativ willkürlich etliches an Kunst und Ramsch angehäuft,
insbesondere ein grosser Teil jener namenlosen Nacktheiten der 20er und
30er Jahre, die das Komplement bilden zu den Heldendenkmälern im
Stadtkern. In den Parkanlagen wird unverfroren exhibitionistisch "das
Schöne und Natürliche" gepflegt! Und da hinein fügt sich nun auch die
Skulptur von Lichtenstein – so schrecklich simpel und aufregend Pop Art
eben ist! So entfaltet der "Pinselstrich", temporär zwischen Seeufer
und Chinagarten plaziert, einen interessanten Effekt. Die Bildsprache
des Comic, an der sich Pop Art orientiert, zieht die Parkanlage ganz in
ihren Bann: Der eh schon deplazierte Chinagarten wird nun völlig in
eine Comic-Welt, ins Disneyland entrückt, und Wiese, Bäume und See
erscheinen flach und künstlich. Solche Zusammenhänge verlangen ein
sorgfältiges Überdenken, was vielleicht eher im Abräumen als im
Aufstellen neuer Kunstwerke endet. In letzterem Fall müsste auf einen
derart sensiblen Ort, der von Touristen, Liebespaaren und andern
Zeitflüchtlingen zeitweise übermässig stark frequentiert wird, mit
zeitgerechteren und komplexeren Kunstkonzepten reagiert werden können,
mit Projekten, die den ortsspezifischen Verhältnissen, wozu etwa auch
die sommerliche Gemeinde von Migranten aus Afrika und Südamerika
gehört, Rechnung tragen.
Jenny Holzer: Installation for Zürich
Jenny Holzer: Installation for Zürich (Selections from the Truisms
and Survival Series in German and English), 1997. Löwenbräu Areal
Zürich. Walter A. Bechtler Stiftung.

Die
Werke der amerikanische Künstlerin Jenny Holzer werden nicht
unmittelbar als Kunst wahrgenommen. Die laufende Leuchtschrift kennen
wir v.a. aus der Werbung. Holzer aber setzt sie für einen völlig
anderen Zweck ein: nämlich um Moral und Macht, ihre Clichés und
Widersprüche in unserer Gesellschaft zur Diskussion zu stellen. Über
dem Eingangstor des Löwenbräuareals jedoch wird die Schriftwerk
unversehens zu einer Art Signet für die dort ansässigen Galerien und
Museen. Das Umfeld lässt die Wirkung des Werkes völlig implodieren. In
einem öffentlichen Raum, der nicht als Kunstraum definiert ist, käme
die These, die das Werk ist, viel stärker zum Tragen. Man stelle sich
Jenny Holzers Schriftwerk am Central oder an der Langstrasse vor! Ein
anderer Kontext erzeugt einen Mehrwert, das Werk gewinnt an Relevanz.
Die Sensibilität der Zürcher Öffentlichkeit für Kunst in ihrem
unmittelbaren städtischen Lebenskontext hinkt anderen Städten um
mindestens zwei Jahrzehnte nach. Aber es gäbe nichts Langweiligeres,
als den hundertsten Serra auch noch vor das Zürcher Kunsthaus zu
stellen! Wir benötigen neue Konzepte.
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